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Zeit der Masken – Warum wir uns nicht nur im Fasching maskieren

Foto Zeit der Masken – Warum wir uns nicht nur im Fasching maskieren

Am 28. Februar ist Faschingsdienstag – er stellt gleichzeitig den Höhepunkt und auch das nahende Ende der Narrenzeit dar. Doch nur weil wir uns in der anschließenden Fastenzeit nicht mehr als Hexe, Cowboy oder Indianer verkleiden, heißt das noch lange nicht, dass wir während des restlichen Jahres all unsere Masken ablegen. Doch wie kommt es eigentlich dazu, dass wir so oft denken, anders sein zu müssen, als wir sind?

Clara hat sich für die Faschingsparty Ende Februar schon ein ganz spezielles Kostüm ausgesucht. Sie wird als Vampir gehen, mir langen Eckzähnen und einem aufwändig gestalteten, schaurigen Make-Up. Wenn Clara am Aschermittwoch ihre Kunstzähne aus dem Mund nimmt, sich abschminkt und in den Spiegel blickt, ist ihr trotzdem nicht ganz klar: „Bin das eigentlich wirklich ich?“ Diese einfach scheinende Frage ist für die meisten von uns schwierig zu beantworten.

Dieses Dilemma beginnt schon in der Kindheit. Clara war immer ein aufgewecktes, wildes Mädchen, das am liebsten mit den Burschen aus der Nachbarschaft Fußball gespielt hätte. Ihre Mutter hörte sie aber zu oft sagen: „Schätzchen, das geziemt sich nicht für ein junges Mädchen!“. Also spielte Clara halbherzig mit den Puppen, die ihr Onkel und Tante immer bei ihren Besuchen schenkten. Sie wollte ja ein braves Mädchen sein. Sie merkte bald, wie viele Begeisterungsstürme es auslöste, wenn sie in rosa Kleidchen bei Verwandtenbesuchen auftrat anstatt in zerrissenen Jeans – und bald beherrschte sie die Rolle des kleinen, herzigen, braven Mädchens ausgezeichnet.

Knallharte Geschäftslady

Bei ihrem ersten Praktikum in einer kleinen Personalabteilung merkte Clara, dass sie ein absoluter Teamplayer war. Sie war hilfsbereit, sagte selten zu einer Aufgabe nein, war kooperativ, freundlich und hielt sich dabei gern im Hintergrund. So gefiel ihr das, sie fühlte sich ausgesprochen wohl. Das Mitarbeitergespräch zu Ende ihrer Ferialarbeit versetzte ihr dann einen bösen Dämpfer: „Frau Bauer, Sie sind wirklich sehr lieb und freundlich, aber wenn Sie nicht ein bisschen mehr Ehrgeiz zeigen und lernen, Ihre Ellenbogen einzusetzen, werden Sie in der harten Berufswelt nicht bestehen. Mit Ihrer Zurückhaltung glänzt man nicht auf Meetings und steigt erst recht nicht auf!“

Also lernte Clara, gegen ihre Natur, hart zu wirken, tough zu sein und auch mal Kollegen hintanzustellen, um einen besser bezahlten Job zu erhalten. Immerhin wollte sie bald ihre erste eigenen Wohnung finanzieren und brauchte ein vernünftiges Gehalt. Drei Jahre später war aus der hilfsbereiten Teamplayerin eine Junior-Managerin geworden, die ein Team von sieben Personen leitete, und die von ihren Mitarbeiterinnen hinter ihrem Rücken „knallharte Geschäftslady“ genannt wurde. Nach kurzer Zeit schon spielte sie die Rolle der rücksichtslosen Karrierefrau ausgezeichnet.

Liebevolle Ehefrau

Als sie schließlich ihren zukünftigen Mann kennen lernte, dem sie mit ihrer neu zugelegten resoluten Art begegnete, hatten ihre Freundinnen viele Tipps parat: „Du musst dich einem Mann unterordnen, zumindest scheinbar, vor so starken Frauen haben die doch Angst!“, „Natürlich musst du Kinder kriegen mit ihm, er will doch so gern eine Familie, da darfst du ihm nicht im Weg stehen und jede Frau möchte doch Kinder haben!“ „In dem Businesskostüm kannst du ihm doch nicht unter die Augen kommen, wo bleibt denn da die Erotik? Steh doch mal zu deiner Weiblichkeit und lass dir auch mal was sagen!“ Weil sie Alexander wirklich liebte, hielt sie sich an die Ratschläge ihrer Freundinnen. Zu Hause war sie die zurückhaltende, liebevolle Ehefrau, die mehrmals in der Woche in hübschen Dessous, die ihr unbequem waren, auf ihren Mann wartete. Sie spielte die Rolle der aufopfernden Ehefrau bald so gut, dass sich selbst ihre Freundinnen ein Beispiel an ihr nahmen!

Strenge Mutter

Als dann die Kinder da waren, versuchte sie, sich so gut als möglich in ihre Mutterrolle einzufinden und fand schließlich den Erziehungsstil, mit dem sie sich wohl fühlte. Sie gab ihren Kindern viele Freiheiten und genoss dabei zu sehen, wie eigenständig sie schon in frühester Kindheit waren. Doch auch hier wurden an sie wieder andere Ansprüche gestellt: „Du kannst unsere Kinder doch nicht so leger erziehen! Was soll denn nur aus ihnen werden, ohne eine starke Hand, die sie führt? Wenn du ihnen keine engen Grenzen setzt, bist du eine Rabenmutter“, schimpfte ihr Mann Alexander. Und so fügte sich Clara auch hier und versuchte, sich in der autoritären Rolle, die sie in wenigen Monaten auch ausgezeichnet beherrschte.

Wo bin ich geblieben?

Wenn Clara also ihre Vampirzähne sowie den rotschwarzen Umhang abnimmt und in den Spiegel blickt, dann entdeckt sie darin eine toughe Karrierelady, eine zurückhaltende Ehefrau, die sich um Erotik in der Beziehung kümmert und eine äußerst strenge Mutter. Von der freundlichen Teamplayerin im Berufsleben, der eigentlich sehr feministisch eigestellten Partnerin im Privaten und der freiheitsgebenden Mutter entdeckt sie jedoch nichts. Ihre ursprüngliche Persönlichkeit ist unter Masken versteckt, die sich mit Abschminktüchern nicht einfach abnehmen lassen. Wenn Clara in den Spiegel schaut, sieht sie vor allem Eines aber recht deutlich: Ihr eingefallenes Gesicht und die traurig daraus blickenden Augen. Sie fühlt die Schwäche in ihrem Körper, fühlt, dass sie bald nicht mehr kann. Dabei läuft doch nach außen hin alles so perfekt!

Das ist jetzt zu tun!

Als Clara eines Tages mitten in einer wichtigen Besprechung unvermittelt in Tränen ausbricht, ist ihr bewusst: Jetzt muss sie handeln. Und sie wendet sich an eine psychosoziale Beraterin, die ihr von einer Arbeitskollegin empfohlen wurde. Eigentlich will sie von dieser nur wissen, wie sie eine noch toughere Chefin, noch bessere Ehefrau und noch strengere Mutter werden kann, ohne dabei ständig das Gefühl zu haben, schwach zu sein. Doch für die Beraterin ist bald klar, dass sie es hier mit einer Unzahl an Masken zu tun hat. Gemeinsam suchen sie die Clara, die sich seit Jahren hinter ihren Verkleidungen glaubte, verstecken zu müssen. Es wird ein langer, vorsichtiger Weg, der sehr viel Mut benötigt. Zwei Jahre später, verabschiedet sich eine andere Clara von ihrer Beraterin. Diesmal für längere Zeit. Ihr Abschied ist herzlich, sie lacht. Es geht ihr gut. Sie fühlt sich kraftvoll, stark und vor allem in ihrer Mitte. Und sie hat gelernt, bei sich zu bleiben. Ihr Mann findet seine neue Frau besonders reizvoll und lässt ihr in der Erziehung der gemeinsamen Kinder heute wesentlich mehr Freiraum. Ihren alten Job hat sie gekündigt und arbeitet heute in einer basisdemokratisch organisierten NGO. Manchmal merkt sie noch, wie sie aus Reflex versucht, guten Ratschlägen zu folgen. Doch dann muss sie lächeln, horcht in sich und weiß letztlich ganz genau: Nein, das ist jetzt zu tun!

Silvia Podlisca

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