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Was Beziehungen im Jahr der Pandemie geprägt hat

Foto Was Beziehungen im Jahr der Pandemie geprägt hat

Was macht die Corona-Krise mit unseren Beziehungen? Und was hat sich in der Paarberatung im vergangenen Jahr verändert? Dieser Blog handelt vom Zuhören und davon, weshalb es gerade in Zeiten, in denen wir von einander (zu) viel hören, manchmal besonders schwer fällt.

Kaum jemals war die Nachfrage an psychologischer Beratung im Allgemeinen und nach Angeboten für Paarberatung im Speziellen so groß wie im vergangenen Jahr. Und für mich ist es immer wieder erstaunlich, wie sich kollektive Prozesse auch im Beratungsalltag widerspiegeln und diesen dadurch immer neu verändern können.

Auch das ist ein für mich so spannender Teil meiner psychologische Arbeit. Denn gerade diese Wandlungen, für die ich einen besonders feinen Blick habe, faszinieren mich ungemein. Einerseits ist es so, dass die Paarberatungen im Vergleich zu den vergangenen 20 Jahren, in denen ich als Paarberaterin arbeite, deutlich zugenommen haben, andererseits haben sich auch die Paarberatungen selbst innerhalb des Pandemie-Jahres stark verändert.

An diesen Beobachtungen möchte ich Sie heute teilhaben lassen und Ihnen gleichzeitig Mut machen: Ja, die Zeit der Einschränkungen hat die Qualität in unterschiedlichen Beziehungen noch herausfordernder gestaltet als bisher. Aber ja, es gibt auch Möglichkeiten und Wege, ganz spielerisch diesen Herausforderungen zu begegnen und Beziehungen wieder konstruktiv, spannend und harmonisch zu gestalten.

Mangel an Rückzug und auferlegte physische Nähe

In der Paarberatung des vergangenen Jahres hat sich gezeigt: Corona hat Beziehungen beeinflusst. Allerdings zum Teil sehr unterschiedlich. Einige Paare hatten bereits im ersten Lockdown 2020 mit enormen Hürden in der Beziehung zu kämpfen, haben sich allerdings dazu entschlossen, genau das als Anlass zu nehmen, um sich die eigenen Themen genauer anzusehen. Diese Paare erlebe ich jetzt ein Jahr später als deutlich entspannter als vor Corona. Andere wiederum haben den ersten Lockdown als paardynamisch eher unspektakulär erlebt und sind dafür im Winter sowie in den vergangenen Wochen an die gemeinsamen Grenzen gestoßen.

In beiden Varianten habe ich ein Thema als besonders herausragend in den unterschiedlichen Paardynamiken erlebt: Die fehlende Selbstbestimmung hinsichtlich der Nähe und Distanz. Immerhin wurde uns diese Thematik in einem für uns alle bisher unbekannten Ausmaß von außen auferlegt. Der Lockdown hieß für die meisten Paare permanente und vor allem nicht selbst gewählte physische Nähe. Und er bedeutete den Wegfall des Inputs von außen. Das hat zu einer spannenden Dynamik in der partnerschaftlichen Kommunikation geführt, deren Nachwehen ich in der Paarberatung aktuell besonders deutlich erlebe. Das Gefühl von Sicherheit und Stabilität – bzw. von Verbindlichkeit – scheint zum Teil verloren gegangen zu sein. Die Unsicherheiten im gesellschaftlichen Zusammenleben – Öffnungen ja oder nein, Gastro ja oder nein, Veranstaltungen ja oder nein, Maske ja oder nein – spiegeln sich in den intimen Beziehungen wider.

Neue Unsicherheit: Paare benötigen viel mehr Rückversicherung

Die kollektive Unsicherheit scheint also auch zu einer neuen Form des Bedürfnisses nach Bestätigung geführt zu haben: Vereinbarungen, die für den Paarberatungsprozess oder für den weiteren Beziehungsalltag getroffen wurden, scheinen heute eine andere gefühlte Gültigkeit als vor Corona zu haben. Paare neigen in der Beratung dazu, sich permanent rückzuversichern. Anstatt im Prozess voranzuschreiten, besteht der Prozess von Paaren aktuell oft lange Zeit aus der wechselseitigen Wiederholung von Zugeständnissen oder Abmachungen. In den vergangenen 20 Jahren der Paarberatung habe ich diese permanente Überprüfung, ob Abgemachtes auch wirklich sicher ist, von Paaren nie in diesem Ausmaß erlebt. Aber es verwundert mich nicht. Immerhin haben wir doch kollektiv im letzten Jahr gelernt, dass eben wenig sicher ist: Weder unsere Lebensentwürfe, noch unsere uneingeschränkte Freiheit, noch unsere Gesundheit. Die in der Pandemie kollektive Unsicherheit und die permanente Frage, wie es weitergeht, haben also auch Einzug in zwischenmenschliche Beziehungen gefunden. Das führt zum Teil zu diesen bisweilen langwierigen neuen Mustern an wechselseitiger Rückversicherung von Abmachungen. Häufig kommen die gewünschten positiven Auswirkungen dieser Vereinbarungen aktuell also lange Zeit gar nicht zum Tragen, da davor schon wieder die nächste Unsicherheit und das Bedürfnis nach neuerlicher Versicherung auftaucht. Diese Muster, wollen nun allerdings nach und nach wieder unterbrochen werden. Abgesehen von der neuen Unsicherheit ist mir aber auch noch ein anderes Muster in Beziehungen aufgefallen. Der innerliche Rückzug trotz physischer Nähe.

Physische Isolation führt auch zu innerer Isolation

Denn nach einem Jahr der intensiven Nähe, die vielen Paaren auferlegt wurde, erleben manche Menschen ein „zu viel“ davon mit den engsten Bezugspersonen. Dazu gehören nicht nur Partner:innen, sondern das erlebe ich auch in den Schilderungen vieler Klient:innen im Hinblick auf die Eltern-Kind-Beziehungen. Auch diese spielen sich durch Home-Schooling und Co bisweilen auf neuen Ebenen ab, in denen ein natürlicher Rückzug kaum möglich ist. Und das, obwohl gerade Rückzug auch ein wichtiger Teil bzw. in Form der Autonomiebestrebungen eine essenzielle Phase im Bindungserleben ist. Ein Teil der neu erlebten Problematik in Beziehungen ist darüber hinaus, dass für an sich in der anhaltenden Krisensituation ganz normale Gefühlszustände wie Reizbarkeit, Genervtheit oder auch Aggression bisweilen keine passenden Kanäle gefunden werden konnten. Dadurch sind streckenweise zwischenmenschliche „Druckkochtöpfe“ entstanden, die sich nun erst wieder nach und nach entladen möchten.

Doch wozu führt das, wenn wir über einen so langen Zeitraum weder Abwechslung noch unsere gewohnte Selbstbestimmung in der Gestaltung unseres Alltags erleben? Es gab so lange keine Abwechslung, und immer nur spazieren zu gehen – das werden auch die hartgesottensten Naturfreund:innen verstehen –, ist auf Dauern nicht für jeden Menschen die reizvollste aller Freizeitbeschäftigungen. Wozu führt die langanhaltende physische Distanz? In den Beratungen erlebe ich unter anderem, dass sich zum Teil eine große „Wurschtigkeit“ breit gemacht hat. Die physische Isolation hat bei einigen Menschen auch zu einem inneren Rückzug geführt. Das zeigt sich unter anderm darin, dass viele Menschen im vergangenen Jahr müde geworden sind. Dadurch werden einerseits Möglichkeiten, die sich jetzt endlich wieder bieten, nicht in Anspruch genommen. Es scheint, als hätten wir einen Teil unseres Soziallebens tatsächlich ein wenig verlernt. Andererseits ziehen sich auch Partner:innen zum Teil voneinander zurück. Die Kommunikation miteinander scheint zu einem Hintergrundrauschen geworden zu sein, das zum Teil ausgeblendet wird, da es schon so lange so beständig ohne Pause von den immer gleichen Themen vorhanden ist. Kein Wunder: Es gab ja in den vergangenen Monaten auch nicht viel Neues zu erzählen. Dieser innere Rückzug führt jedoch auch dazu, dass Paare einander oft gar nicht mehr oder nur sehr oberflächlich zuhören. Und das wiederum nährt die Vorstellung „Keiner versteht mich“, was weitere innere Isolation begünstigen kann.

Werden Sie aktiv – sammeln sie neue, erzählenswerte Erfahrungen

Das klingt jetzt alles sehr trostlos, nicht wahr? Das Schöne ist: Das muss es weder sein, noch bleiben. Auch die durch Corona entstandenen und zum Teil jetzt erst deutlich sichtbaren Muster können wieder verändert werden, wenn Sie beide wirklich wollen. In der Paarberatung können Sie miteinander spielerisch eine neue Atmosphäre erschaffen, in der Sie einander wieder interessiert zuhören. Ein neu entfachtes Interesse aneinander ist die wichtigste Voraussetzung für ein verändertes, positives Miteinander. Neben der Paarberatung können Sie dafür auch selbst einiges tun: Überprüfen Sie Ihren aktuellen Alltag einmal bewusst: Wo können Sie eventuell reduzieren, was Isolation und Rückzug von der äußeren Welt und von Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner begünstigt? Könnten Sie womöglich den Alkohol, das permanente Checken der Corona-Zahlen oder Spiele im Internet reduzieren? Und dann erlauben Sie sich, wieder neue Impulse zu setzen. Meine wichtigste Empfehlung dafür ist: Gehen Sie bitte raus! Nein, damit ist nicht der Spaziergang Nummer 2.348 gemeint. Auch wenn es schwer fällt: Aktivieren Sie Ihre Kotakte, werden Sie aktiv, anstatt darauf zu warten, dass Ihre Freund*innen und Bekannten sich bei Ihnen melden. Nehmen Sie wieder ein wenig Aufwand in Kauf, selbst wenn das einmal Testen mehr bedeutet. Denn auch wenn die Kommunikation über die weiterhin vorhandenen Maßnahmen eine fragwürdige ist: Ausgesucht haben sich die Pandemie weder wir alle noch die Regierung. Nutzen Sie also, was wieder möglich ist. Und nutzen Sie vor allem den schönen Moment, nach Hause zu kommen und einander wieder etwas zu erzählen zu haben, das über Impfdebatten und Politikverdrossenheit hinausgeht.


Silvia Podlisca
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